Spanische Orgel

Die Spanische Orgel von Patrick Collon/Brüssel (2001) ist ein einzigartiges Instrument in Nordeuropa.

Durch ihre geteilten Register (c’cis‘), ihre Stimmung (mitteltönig, 415 Hz) und die Kurze Oktave ist die Spanische Orgel als Instrument hervorragend geeignet, die Musik des frühen 16.-18. Jahrhunderts original wiederzugeben.

Die Orgel gehört der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, und wird von Studenten im Rahmen des Unterrichts und bei Meisterkursen gespielt. In Gottesdiensten und Konzerten kommt das Instrument ebenfalls zu Gehör.

Was ist eine Spanische Orgel?

Von Patrick Colon, Brüssel im April 2001

Die Trompeten, die waagerecht aus dem Orgelgehäuse herausragen, sind für viele die Personifikation der Spanischen Orgel. Und tatsächlich gibt es auf der Iberischen Halbinsel kaum eine Orgel ohne diese imposanten Pfeifen. Aber ihre musikalische Bedeutung ist weitaus geringer als ihre optische Wirkung, denn diese Chamaden breiten sich erst im 18. Jahrhundert aus, als die letzten Blattseiten der großen spanischen Orgelliteratur beinahe geschrieben waren. Die Hochblüte der Orgelmusik, von Cabezons Geburt 1510 bis zu Cabanilles’ Tod 1712, läuft parallel zum goldenen Zeitalter Spaniens. Um die Essenz der Spanischen Orgel wirklich zu verstehen, müssen wir auf diese Vergangenheit zurückgreifen.

So wie in der Architektur und der Malerei entsteht eine Orgellandschaft nur in engster Beziehung zum Charakter eines Volkes, zu seinem musikalischen Temperament, zum Klima des Landes und nicht zuletzt zu den verschiedenen politischen und religiösen Strömungen, die das Land bewegen.

Ab etwa 1500 beginnen die verschiedenen Landschaften Europas sich zu entwickeln. Die wesentlichen Impulse, nach Norden wie auch nach Süden, kommen aus den südlichen Niederlanden: Die Kinder von Kaiser Maximilian werden 1496/1497 mit den Erben von Kastilien und Aragon verheiratet, so dass Spanien in engster Verbindung mit Flandern und den Niederlanden, mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und den Erblanden Österreichs zu stehen kommt.

1516 kommt aus Flandern der spätere Kaiser Karl V. als Regent von Kastilien und König von Aragon nach Spanien. In seinem Gefolge sind nicht nur Minister und Soldaten; es kommen auch Tänzer, Musiker und mindestens eine Orgel. Sein Sohn Philipp II. lässt zwischen 1578 und 1584 im Escorial nicht weniger als 5 Orgeln aufstellen, alle von dem berühmten Orgelbauergeschlecht Brebos aus Antwerpen … und zur gleichen Zeit arbeitet als Hoforgelbauer im protestantischen Kopenhagen Hans Brebos aus derselben Familie: Trotz der Gegensätze von Klima und Kultur, von Politik und Religion gibt es also ganz deutliche Strömungen und Anregungen zwischen Norden und Süden.

Aus dem Morgenland kommt das Verlangen nach Rhythmus und rauschenden Klängen, aus Flandern die Flöten und Kornette und aus den deutschen Ländern die farbigen Zungenregister, wie etwa 1550 in der Kathedrale von Lleida: »Trompetas naturales a la Tudesca«. Gold und Silber fließen aus der Neuen Welt; die Kirche ist reich und allmächtig, und in ganz Spanien werden über 300 Jahre lang unzählige Orgeln gebaut. Es entsteht der Typus eines in jeder Hinsicht farbenprächtigen Instrumentes, das durch seine speziellen Eigenschaften eine ganz besondere Musik hervorruft, mit keiner anderen in Europa – außer vielleicht mit der in Flandern und Italien – zu vergleichen.

Spanien hat, ähnlich wie Deutschland, keine einheitliche Orgellandschaft. Jedoch aus gesamteuropäischer Sicht gibt es wesentliche Merkmale für das, was wir heute als „Spanische“ oder „Iberische Orgel“ verstehen können: (Dass es für alles dennoch eine Ausnahme gibt, ist selbstverständlich.)

Aufstellung: Die Spanische Orgel wird fast immer auf einer Seitenempore aufgestellt oder – in größeren Kirchen – seitlich auf einer Empore im Chorraum.

Gehäuse: Es ist prächtig, vergoldet, farbig, oft überdimensioniert, denn die optische Wirkung ist bei der Spanischen Orgel von großer Bedeutung. Oft fehlt die Rückwand, oder das Gehäuse besitzt tuchbespannte Rückfüllungen. Bei einer Aufstellung im Chorraum gibt es häufig einen zweiten Prospekt nach hinten. In den frühen Instrumenten folgt die Prospektaufteilung der Anordnung der Pfeifen auf der Windlade. Ab etwa 1650 kommt wegen der Registertrennung in Bass und Diskant eine chromatische Aufstellung der Windlade immer häufiger vor. Der Prospekt ist nur noch Kulisse, aber im schönsten Sinne des Wortes.

Ausstattung: Der Spielschrank ist grundsätzlich in der Mitte. Meistens gibt es nur ein Manual. Die tiefe Oktave wird bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als »kurze Oktave« gebaut (ohne CIS, DIS, FIS, GIS). Alle Register werden in Bass und Diskant zwischen c’/cis‘ geteilt, denn Solomöglichkeiten von Flöten, Kornetten und Zungen entsprechen dem musikalischen Geschmack Spaniens. Die Züge für die Bassregister werden links vom Spielschrank angeordnet, die für die Diskantregister rechts … aber leider nicht immer einander gegenüber, was große Verwirrung verursachen kann! Die meist einfache Traktur läuft senkrecht nach oben, bei einer chromatischen Aufstellung fast ohne Wellenbrett. Eine Pedalklaviatur im deutschen Sinne gibt es nicht, denn die Füße haben in Spanien wenig zu tun. Fast überall werden die Pedaltasten als kleine Stöpsel gebaut, ohne eigene Register. Dafür arbeiten die Knie, denn Kniehebel für Echokästen und Chamaden sind keine Seltenheit. Dürftige Beleuchtung und minimalistische Notenpulte sorgen heute für Ärgernis, früher waren Noten eine große Seltenheit.

Der Wind ist oft eine delikate Angelegenheit. Wehe dem, der ohne Verständnis und Einfühlsamkeit viele Register zieht und einfach losspielt … denn bei den oft willkürlich angelegten Kanälen kann der Wind schon sehr lebhaft wirken. Der Winddruck ist meist niedrig, zwischen 60 mm und 70 mm; erst im späten 18. Jahrhundert wird höherer Winddruck verwendet.

Windlade: Früher wurde sie für eine diatonische Aufstellung oder eine Terzaufstellung angelegt, später fast immer für eine chromatische Pfeifenaufstellung. Für deutsche Verhältnisse sind die Laden meist sehr klein dimensioniert, denn alle größeren Pfeifen werden auf Kondukten oder Verführungsbrettern abgeführt.

Pfeifen: Es gibt keine festen Regeln für den Bau von Metallpfeifen in altspanischen Orgeln, sondern es kommen verschiedene Legierungen von Zinn und Blei vor, auf Sand oder Leinen gegossen oder sogar gewalzt. Neben einem milden Principal-Plenum und Flötenregistern gibt es eine Fülle von Aliquoten und bis zu 8-fache Kornette. Ab etwa 1700 werden beinahe alle Instrumente mit horizontalen Trompeten sogar bis zu sieben Reihen ausgestattet, ohne auf innere Trompeten zu verzichten! Die Becher werden oft aus gehämmertem Zinn hergestellt, manchmal sogar aus Blech, wie übrigens auch in Flandern. Bei großen Orgeln stehen die Zungenpfeifen auf bis zu 5 Meter langen Kondukten! Grundsätzlich werden die Pfeifen kaum je nachgestimmt, was sich natürlich bei den Zungen besonders bemerkbar macht.

Aber: Wer niemals eine gut gestimmte Orgel gehört hat, weiß auch nicht, was er versäumt!

Die neue Spanische Orgel für die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover ist keine Kopie, denn es ist nicht möglich, und wäre auch nicht wünschenswert, die klimatischen Verhältnisse von den düsteren, ungeheizten Kirchen Alt-Spaniens ohne weiteres nach Norddeutschland zu versetzen.

In den historischen Mauern der altehrwürdigen Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis ist ein moderner Raum entstanden, der sieben Monate des Jahres beheizt wird. Eine Hochschulorgel wird (hoffentlich) viel gespielt; letztlich muss das Gesamtkonzept für deutsche Ohren anziehend wirken, nicht abstoßend. Also eine alt-spanische Orgel, aber für das dritte Millennium.

Ein Teil von Subjektivität ist niemals auszuschließen, und so ist eine Orgel entstanden, die sicherlich gut Spanisch spricht, aber möglicherweise mit leicht belgischem Akzent. Mindestens drei Instrumente standen ihr Pate – die Orgeln aus Covarrubias und Lerma in Kastilien und die Orgel aus Lietor in der Provinz Albacete. Wer diese Orgeln kennt, wird unsere Auswahl verstehen!

Als Raum für die Aufstellung dieser Orgel könnte ich mir kaum einen vorstellen, der besser gepasst hätte: Dimensionen, Seitenemporen, Akustik sind wie für dieses Instrument geschaffen. Und wenn die alten Hofprediger in ihren prächtigen Rahmen zuerst mit größtem Misstrauen auf uns herabgesehen haben, so bekommen wir zusehends den Eindruck, dass sie immer freundlicher auf unsere Arbeit schauen.

Diese Orgel wird getreu die großartige Musik von Cabezon, Correa de Arauxo und Cabanilles, um nur drei Namen zu nennen, wiedergeben. Aber dieses soll nur eine erste Annäherung sein, denn Hannover kann kaum Ersatz für Spanien bieten.

Wer die Pyrenäen überquert, um nach meist schwer zugänglichen historischen Orgeln zu suchen, wird um ein großartiges Erlebnis reicher. Der Weg ist voller Hindernisse: »Der Pfarrer ist nicht da!« – »Der Schlüssel ist schon lang verloren.« – »Die Pfeifen wurden alle gestohlen.« – »Es ist streng verboten, die Orgel zu spielen!« – das sind nur einige Variationen über ein in Spanien bekanntes und beliebtes Thema. Aber man muss diese Hürden akzeptieren, sie gehören dazu. Denn: Ist der Empfang dann doch einmal freundlich, die Orgel bezaubernd und sogar spielbar, die Zungen nicht verstimmt, scheint die Sonne und schmeckt der Wein gut … dann ist alles andere vergessen, und die vorigen Mühen und Enttäuschungen haben sich 1000 Mal gelohnt.

Diese Orgel wäre nicht ohne den unermüdlichen Einsatz von vielen Menschen guten Willens entstanden. Auch hier erreichten die Hürden zeitweise fast spanische Dimensionen … aber dafür ist auch die jetzige Freude umso größer. Ich danke allen von ganzem Herzen, die sich für diese Orgel eingesetzt haben. Möge sie für viele Generationen eine Quelle der Freude und Anregung bleiben.

Brüssel, April 2001
Patrick Collon

Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen

Patrick Collon wurde 1942 in Brüssel geboren und studierte in England (Eton College), Österreich (St. Florian und Linz) und Deutschland (Ludwigsburg). Von 1952 bis 1980 war er Organist an der Anglikanischen Kirche in Brüssel. Seit 1966 ist er Orgelbauer in Brüssel. Von ihm stammen über 100 Orgeln auf vier Kontinenten, u. a. für die Hochschulen von Antwerpen, Leipzig, Cleveland/Ohio, Hannover, Malmö, Brüssel und Wien. In Deutschland baute er Orgeln in Essen, Berlin, Oberhausen, Großburgwedel, Kempen, Münster und Herford. Restaurierungen oder Kopien von historischen Instrumenten befinden sich in Museen von Antwerpen, Bonn, Brüssel, Paris, Tokio und Wien.

Kontakt

Rote Reihe 8
30169 Hannover
Tel. 0511 171 39
kg.hof-stadtkirche.hannover@evlka.de

Offene Kirche

(Zum "Stillen Gebet" geöffnet)
Dienstags - Freitags von 13-15 Uhr
Samstags von 11-15 Uhr
Rote Reihe 8
30169 Hannover

Gemeindebüro

Montags von 15-17 Uhr
Mittwochs + Donnerstags von 10-12 Uhr
Rosmarinhof 3
30169 Hannover
Tel. 0511 171 39
kg.hof-stadtkirche.hannover@evlka.de

Spendenkonto

Ev.-luth. Neustädter Hof- und Stadtkirche
IBAN: DE04 5206 0410 7001 0115 02
BIC: GENODEF1EK1
Verwendungszweck:
115-63-SPEN + persönlicher Spendenwunsch (wichtig!)