Gottesdienst | Orgel: Matthias Schulze | Predigt: Geistlicher Vizepräsident i. R. Arend de Vries
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PREDIGT:
Arend de Vries
Geistlicher Vizepräsident i.R. – Prior des Klosters Loccum
Predigt Matthäus 14,22-33
Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis
- Februar 2022
Wochenpsalm
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
So sollen sagen, die erlöst sind durch den Herrn,
die er aus der Not erlöst hat.
Die mit Schiffen auf dem Meere fuhren
und trieben ihren Handel auf großen Wassern,
die des Herrn Werke erfahren haben
und seine Wunder im Meer,
wenn er sprach und einen Sturmwind erregte,
der die Wellen erhob,
und sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund sanken,
dass ihre Seele vor Angst verzagte,
dass sie taumelten und wankten wie ein Trunkener
und wussten keinen Rat mehr,
die dann zum Herrn schrien in ihrer Not
und er führte sie aus ihren Ängsten
und stillte das Ungewitter,
dass die Wellen sich legten
und sie froh wurden, dass es still geworden war
und er sie zum ersehnten Hafen brachte:
Die sollen dem Herrn danken für seine Güte
und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut,
und ihn in der Gemeinde preisen
und bei den Alten rühmen.
(Psalm 107, 1.2.23-33 – Der Seefahrerpsalm)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hlg
Geistes sei mit Euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
nach dem Seefahrerpsalm am Beginn, nach der Geschichte von der Sturmstillung als Evangeliumslesung
nun der dritte biblische Text, der von Wind und Wasser handelt. Wir beschreiben
diese Geschichte gern als die den „Seewandel“ des Petrus.
Matthäus hat sie überliefert:
Und alsbald trieb Jesus seine Jünger,
in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren,
bis er das Volk gehen ließe.
Und als er das Volk hatte gehen lassen,
stieg er allein auf einen Berg, um zu beten.
Und am Abend war er dort allein.
Und das Boot war schon weit vom Land entfernt
und kam in Not durch die Wellen;
denn der Wind stand ihm entgegen.
Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen
und ging auf dem See.
Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen,
erschraken sie und riefen:
Es ist ein Gespenst! und schrieen vor Furcht.
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach:
Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!
Petrus aber antwortete ihm und sprach:
Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.
Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot
und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
3Als er aber den starken Wind sah,
erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!
Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm:
Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Und sie traten in das Boot, und der Wind legte sich.
Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen:
Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!
Liebe Gemeinde,
das wär’s doch. – Dann wäre klar, zu was der Glaube in der Lage ist. Dann würden alle sehen,
wie Recht wir haben. Ein solches Wunder würde alle Zweifler, alle Atheisten, alle Gottesleugner
verstummen lassen. „Übers Wasser gehen…“
Das wär’s doch. Ich würde mir viel mehr zutrauen. Allen Schicksalsschlägen zum Trotz meinen
Weg gehen und mich nicht beirren lassen. „Übers Wasser gehen…“
Das wär’s. Wenn ich das auch könnte, Kraft meines Glaubens, von dem ja gesagt wird, dass
er Berge versetzen kann.
Das wär’s.
Aber so ist es nicht! Seit dieser Wundergeschichte hat es wohl noch keiner geschafft, übers
Wasser zu gehen. Wozu dann diese Geschichte? Andere Wundergeschichten kann ich verstehen.
Da werden Menschen gesund, heil an Leib und Seele. Ja, Tote wieder lebendig.
Aber warum muss da einer – und dann auch gerade noch das Großmaul Petrus – übers Wasser
gehen, wenn das keiner nachmachen kann? – „Seewandel“. Wozu diese Geschichte?
Vielleicht hilft es uns weiter, wenn wir dieser Geschichte einen anderen Titel, eine andere
Überschrift geben. Nicht mehr „Seewandel“.
Über dieser Geschichte könnte ja auch als Überschrift stehen:
„Jesus kommt spät“.
Dann verschiebt sich der Fokus. Weg von dem, der scheinbar alles kann – hin zu den normalen
Menschen. Zu denen, die weder einen tobenden Sturm beruhigen noch auf dem Wasser
gehen können. Hin zu denen, die in einem schwankenden kleinen Boot sitzen, gegen Sturm
und Wellen ankämpfen und nicht wissen, ob sie in den nächsten Minuten kentern und wenig
später im Jenseits sein werden.
Von solchen Geschichten können wir unser eigenes Lied singen. Jedenfalls dann, wenn wir
gelernt haben, die Geschichten der Bibel so zu nehmen, wie sie gemeint sind: als Spiegel, in
dem uns unser eigenes Leben erzählt wird.
„Am Abend“, so erzählt unsere Geschichte, „stieg Jesus allein auf den Berg und schickte seine
Jünger zurück ans andere Ufer“. Die Begegnung mit dem auf dem See wandelnden Jesus
passiert später, in der „vierten Nachtwache“. Die vierte Nachtwache, das ist die Zeit von drei
Uhr nachts bis sechs Uhr morgens. Sie sind also schon mehr als die halbe Nacht unterwegs
auf See. Vermutlich tobt der Orkan auch schon eine ganze Weile.
Nun sind sie ja keine blutigen Laien, sondern erfahrene Fischer, die sicher schon den einen
oder anderen schweren Sturm überstanden haben. Aber diesmal geht es ums nackte Leben.
Da muss die Frage schon erlaubt sein, wo Jesus bleibt. Ob er den Sturm nicht vorausgesehen
hat? Vermutlich hätten sie weniger Angst, wenn er jetzt bei ihnen wäre. Er könnte ein Gebet
sprechen, er könnte ihnen Mut machen, womöglich könnte er den Wind beruhigen; alles
möglich.
Aber er ist nicht da.
Er muss allein sein; er muss sich Kraft im Gebet holen. Alles wichtig. Aber wenn es um Leben
und Tod geht, zählt das dann noch? – Möglich, dass er neue Nachfolger findet, wenn sie untergehen,
möglich, dass sie für ihn gar nicht so wichtig sind oder dass er ihre Zeit für gekommen
hält…
Es gibt Gedanken, liebe Gemeinde, die sind nicht tröstlich, die helfen nicht.
Hilfe ist das, was sie jetzt am Allermeisten brauchen.
Jesus kommt spät. –
Aber immerhin, er kommt.
Haben Sie es bemerkt? Wenn wir dieser Geschichte eine andere Überschrift geben, sind wir
gleich mittendrin. Schon sind wir beteiligt; schon erzählt sie von uns. Wir haben die Perspektive
gewechselt – schon fühlt sich die Geschichte ganz anders an.
Die Geschichte hat von uns erzählt, von den Bedingungen, unter denen wir leben. Vom
Schrecken, der uns überfallen kann von einer Sekunde auf die andere, vom Boden, der unter
uns unter den Füßen wegbricht, vom tiefen Wasser, in das wir manchmal geraten, ohne
recht zu wissen, wie uns geschieht. Vermutlich könnte jede und jeder von uns die eine oder
andere Geschichte aus seinem oder ihren Leben erzählen können: in der der Sturm losbrach,
ohne dass man wusste, wie einem geschah.
Kommt dann da einer übers Wasser zu uns und redet uns an?
Wenn wir einen Augenblick überlegen, dann könnte es sein, dass uns Situationen einfallen,
in denen es so passiert ist. Es muss sich ja nicht gleich um ein übernatürliches Geschehen
handeln. Da war jemand, der unsere Angst ausgehalten hat. Jemand, der nicht gleich sagte:
„Wird schon werden. – Alles nicht so schlimm. – Auf Regen folgt auch wieder Sonnenschein.“
Oder was dergleichen Sprüche mehr sind. Da war jemand, der einfach nur zuhörte, als wir
vom Schrecken erzählten. Der nicht abwehrte. Der zu uns kam und bei uns blieb.
Und dann? Dann hebt sich plötzlich der eigene Blick. Da kommt jemand auf uns zu, einer
vom weit entfernten Ufer, einer der sich nicht vor dem Wasser fürchtet, auch nicht vor dem
Schrecken, der uns fast weggerissen hat, und mit einem Mal ist der Schrecken nicht mehr gar
so furchterregend. Wenn Andere so übers Wasser laufen können, dann können wir das auch.
Womit wir bei Petrus angelangt sind. Es ist kein Zufall, dass es ausgerechnet Petrus ist, der
das eigentlich Unmögliche wagt. Im Neuen Testament ist es immer wieder Petrus, der herausragt
aus der Menge, der das sagt und das wagt, was sonst keiner wagt. Petrus ist mutig.
Wenn Jesus auf dem Wasser laufen kann, dann kann er es auch.
Es braucht Mut, die letzten Sicherungen hinter sich zu lassen und sich dem Ungewissen anzuvertrauen.
Es gilt, den Blick zu heben, nicht auf die Gefahr zu sehen, sondern auf das Rettende.
Es gibt ein Sprichwort, das uns allen auf den Leib geschrieben wurde, von früher Kindheit an.
Dieses Sprichwort heißt: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.“ Ängstliche Naturen
würden das jetzt womöglich dem aus dem Boot steigenden Jünger zurufen. Aber es gibt
Sprichworte, die sind nicht wahr, die dienen allein den Interessen der Mächtigen. Dieses
Sprichwort gehört dazu. Wolf Biermann hat es in einem seiner Lieder umgedichtet. „Wer
sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.“
Es gibt Situationen, in denen muss man sich der Gefahr stellen. Und genau das begreift Petrus.
Manchmal muss man darauf vertrauen, dass das Wasser trägt. Anders bleibt man ein
Leben lang gefangen in seiner Angst. Man wird ihr nicht entkommen, nicht auf Dauer jedenfalls.
Aber wenn man nicht für immer in ihr stecken bleiben will, muss man sich aufs Wasser
wagen. Vielleicht nicht jedes Mal, vielleicht nur ein- oder zweimal im Leben, aber es gibt Augenblicke,
in denen hat man eigentlich keine andere Wahl. Ich denke, man wird es spüren,
wenn es so weit ist.
Aber auch das gehört zur Wahrheit: Das alles ist nicht ohne Risiko. Manchmal überschätzt
man seine Kräfte. Petrus hat das gewagt, was außer ihm keiner gewagt hat. Er schafft es
auch ein paar Schritte weit, aber dann beginnt er zu sinken. So passiert das eben, wenn man
sich selbst überschätzt, sagen die Vorsichtigen, und die ganz Gläubigen fügen hinzu: Er hätte
eben nicht auf die Wellen, sondern auf Jesus schauen müssen.
Ihr habt ja Recht, kann man da nur sagen. Aber es ist eines, die Geschichte aus der sicheren
Distanz von 2000 Jahren Geschichte zu hören und es ist etwas ganz anderes, sich in sie hineinzubegeben.
Er hätte nach oben schauen müssen, nicht nach unten. Aber das Recht, ihn
einen „Kleingläubigen“ zu nennen, kommt allenfalls Jesus zu.
Die Geschichte vom Seewandel nimmt, am dramatischen Höhepunkt angelangt, eine glückliche
Wende und weist hin auf den Weg, der aus Anfechtung und Zweifel herausführt.
Mit dem Hilferuf des Petrus kommt Rettung in Sicht. Jesus ergreift seine Hand und zieht ihn
aus Seenot und Todesangst.
Die sich in Anruf und Gebet ganz auf Jesus – und auf ihn allein – richtende Gemeinde kann
seiner rettenden Gegenwart gewiss sein.
Petrus steht hier als Repräsentant der Jüngerschar, ja der gesamten, sich zu Jesus bekennenden
und ihn anbetenden Gemeinde, die im Bild des durch Sturm und Wellen bedrängten
Bootes symbolisiert wird. Wenn das »Schiff, das sich Gemeinde nennt« durch bewegte
Zeit steuert, sich ganz auf ihn ausrichtet und den Blickkontakt zu ihm nicht verliert, kann es
nicht untergehen.
Und was der Gemeinde verheißen ist, gilt auch für jeden einzelnen Christenmenschen. Der
Kleinglaube, dieser Ohnmachtsanfall des Glaubens, kein rechter Glaube und kein rechter
Unglaube, ist weder Absage noch völlige Hingabe an Jesus. Er stellt aber nach Auffassung des
Matthäus ein grundlegendes Merkmal christlicher Existenz dar.
Unser Glaube ist niemals ohne Anfechtung und Zweifel, kann aber immer wieder die tröstliche
und ermutigende Erfahrung machen, dass Christus der Anfänger und Vollender des
Glaubens ist, der unsere Zweifel aufnimmt und überwindet.
Insofern zeigen uns Anfechtung und Glaubenszweifel in zugespitzter Form geradezu, wer
Christus ist, wer er für uns ist. Sie zeigen uns, dass er unsere Glaubensnöte versteht und sie
in Glaubensgewissheit und Glaubensfreude verwandeln kann.
Wenn unser Glaube an die Liebe Gottes und eine harte, gefahrvolle, unbarmherzige Lebenswirklichkeit
in schärfsten Gegensatz zueinander treten, wenn Warum- Fragen uns bedrängen,
dann machen Erfahrungen der Anfechtung unsere radikale Angewiesenheit auf Christus
deutlich. Martin Luther hat erfahren und gelehrt, dass die Anfechtung ein Kennzeichen
christlicher Existenz ist. Und Glaube nur als angefochtener und getrösteter Glaube gelebt
werden kann.
Vor einigen Tagen schickte mir jemand einen kleinen Text – den ich an den Schluss stellen
möchte: Die Geschichte von der Bahnfahrt mit Herrn Zweifel.
Es geschah während einer Bahnfahrt. Ich hatte allein in meinem Abteil gesessen, als ein
freundlicher Herr hereinkam und mir gegenüber Platz nahm. Nach einer Weile sprach er mich
an: „Da wir uns in nächster Zeit häufiger begegnen werden, halte ich es für angemessen,
mich vorzustellen. In bin der Zweifel“.
„Angenehm“ antwortete ich höflichkeitshalber. War mir aber ganz und gar nicht sicher, ob
ich diesem Herrn einen Platz in meinem Leben einräumen wollte. Selbst wenn er auf den ersten
Blick ganz sympathisch wirkte.
„Wie kommen Sie darauf, dass wir uns häufiger sehen werden?“, fragte ich ihn.
„Zufällig weiß ich, dass Sie demnächst vor schwierigen Situationen und schweren Entscheidungen
stehen werden. Und ich denke, da könnte mein Rat hilfreich sein“.
„Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber eigentlich wären mir Gewissheiten lieber als
Zweifel“, wandte ich ein.
Herr Zweifel lächelte nachsichtig und antwortete: „Ja, das denken die meisten. Aber glauben
Sie mir: Gewissheit ist ohne meine Unterstützung nur in den seltensten Fällen zu haben.“
Ich dachte nach. „Wie würde Ihre Unterstützung denn aussehen?“
„Nun. Ich helfe beim Abwägen, Nachdenken, beim Hinterfragen. Auch beim Aushalten.
Manchmal kann ich sogar vorschnelle Entscheidungen verhindern. Tiefgreifende Entscheidungen
müssen reifen. Sie brauchen Zeit, verschiedene Blickwinkel. Und wenn Sie erlauben,
würde ich Ihnen da gerne zur Seite stehen.“
„Aber wann werde ich wissen, ob ich meine Entscheidung gefunden habe?“
Er lächelte: „Wenn ich nicht mehr da bin. Aber bis dahin würde ich mich freuen, wenn Sie
mich als Ihren Freund betrachten…“
Mit diesen Worten verabschiedete er sich und stieg aus.
Amen.